Am Montag Abend verschlug es mich nach Recklinghausen und da ich nicht allein fahren wollte, nutzte ich die Gelegenheit um den Jedl auf seine Spontanität zu überprüfen. Und siehe da: es klappte. Nach Erledigung der dienstlichen Angelegenheit (Buchung eines Tisches zum Weihnachtsessen beim Italiener, welcher mich ununterbrochen duzte und wild gestikulierte…Klischee Nr. 1) verschlug es uns zum Mexikaner am Marktplatz. Wir saßen alleine in dem großen Laden, besprachen das Ergebnis der Bundestagswahl, palaverten über die Bayern und dies und das. Dies alles in der großen Sitzecke, ein Salitos respektive Desperados genießend. Plötzlich ein Stimmenwirrwarr, welches an die Trompeten von Jericho erinnerte. Wenn Jericho in Südamerika gewesen wäre. Eine wilde Horde Latinas nebst einigen stilleren Männern stürmte den Laden und drapierte sich um uns herum. Natürlich boten wir an unsere benötigten Plätze zu räumen, was den Damen ein willkommener Gesprächsauftakt war.
„Ah, deutsche Jungs…immer so verkrampft. (Klischee Nr. 2) Bleibt hier, wir feiern.“
Das verdutzte Servicepersonal wurde völlig überrumpelt und die Salsa-Musik aufgedreht. Die Tische beiseite geschoben und sofort begann der wilde Tanz. (Klischee Nr. 3)
„Hey, deutsche Jungs! Kommt tanzen! Warum so verkrampft? Heute Party, wir leben heute!“
Wir erwehrten uns der Annäherungsversuche und bemühten uns weiter um sachliche Diskussion. (Klischee Nr. 2) Aber keine Chance. Nach dem zweiten Desperados stellte sich dann bei uns langsam die typische Touristenlockerheit ein und ich versuchte mein Spanisch zusammen zu kramen. Schmerzhaft wurde mir in Erinnerung gerufen, dass ein Satz aus fünf Wörtern gleichzeitig drei Fehler beinhalten kann und ich gab es wieder auf. Aber der Kontakt war endgültig hergestellt. So erfuhren wir, dass die Truppe aufgrund einer Ausstellung nach Recklinghausen gekommen war. Und das aus halb Südamerika: Bolivien, Ecuador, Argentinien, Mexico, Oer-Erkenschwick…dort hat eine der Damen eine Tanzschule. Dazu gesellte sich noch Spanien. Und eine Art Reiseleiter der uns als Deutscher vorgestellt wurde. Was dieser sofort vehement abstritt, obwohl er wirklich sehr deutsch wirkte. Sind wir wirklich so schlimm, fragte ich mich. Niemand will Deutsch sein? Dagegen muss man doch was unternehmen! Jedl und ich taten dies in dem wir ruhig sitzen blieben und keine weiteren Sprachfehler hervor murmelten. Ab und zu ein paar höfliche Sätze wechselnd und dabei weiter den Tanz zu heißen Rhythmen genießend. Auch die zweite Aufforderung zum Tanz lehnten wir ab. Was uns weitere Bemerkungen über die deutsche Spießigkeit einbrachte. Dies ging so etwa bis 22.15Uhr, der Zeitpunkt zu dem wir zahlen und gehen wollten. An der Kasse wurden wir wieder abgefangen.
„Deutsche Jungs…warum wollt ihr schon gehen? Oder wir gehen alle zu dir! Hast du ein Haus?“
„Mucho trabajo manana“, kramte ich noch einmal mein Spanisch-Vokabular zusammen.
„Wir auch! Wir müssen auch früh aufstehen, aber heute ist Fiesta! Los jetzt, wir tanzen!“
„Ich tanze nicht!“
„Ach, deutsche Jungs…was könnt ihr denn?“
Einhellige Antwort nach kurzem Blick zwischen Jedl und mir:
„Bier trinken!“ (Klischee Nr. 4)
Und von Wort zu Wort und Argument zu Argument das den Jedl traf, sah ich ihn mehr und mehr wanken.
„Jedl…wir gehen…“
„Nein, komm schon.“
„Jedl!“
Innerliche tobte auch in mir der Kampf. Mit einer Latina tanzen? Einmal so sein wie die Leute aus der Tequila-Werbung? Damit vor allen Freunden angeben?
„Das darf ich nicht, wird meiner Freundin nicht gefallen“, wagte ich als Einwand. Eigentlich suchte ich nur eine Ausrede um nicht völlig lächerlich zu machen, mir die Füße zu brechen und ihr das Bein…
Worauf mir zugezwinkert und zugeflüstert wurde:
„Du darfst zu Hause nicht immer alles erzählen.“
Mach ich ja auch nicht. Ich schreib es in den Blog. :-D Irgendwie gelang es mir dann doch den Jedl loszueisen und wir machten uns auf den Rückweg. Der sehr lang wurde.
„Oh man, Müller…lass uns zurück gehen! Ich geb dir noch ein Bier aus.“
„Ich darf keins mehr, ich muss fahren.“
„Dann eine Cola.“
„Jedl, es ist halb elf durch. Ich werde müde und will ins Bett. Du wirst mir morgen früh dankbar sein, wenn du wach und ausgeruht im Büro sitzt.“
„Aber da wäre sicher was gegangen.“
„Mit welcher denn? Die mit den zwei Kindern oder die mit den vier Kindern?“
Im Auto setzte es sich fort:
„Müller, du bist mein Held wenn du jetzt abbiegst und zurück fährst. Los, da vorne rechts!“
„Nein.“
„Oh man, warum haben wir nicht mit denen Salsa getanzt?!“
„Weil wir das nicht können?“
Kurze Pause, dann: “Stimmt.“
Ungefähr hundert Meter weiter ging es wieder los.
„Müller, letzte Chance. Da vorne kannst du noch mal abbiegen.“
„Ich fahr gerne zurück und setz dich da ab.“
„Alleine mach ich es nicht.“
„Dann zu spät, wir sind bald in Marl. Aber die Busse fahren ja auch noch eine Weile.“
„So etwas erlebe ich immer nur mit dir, Müller.“
„Ich ziehe so komische Erlebnisse scheinbar an. Aber ist auch eigentlich ganz cool der Laden, können wir öfter mal hin.“
„Das passiert uns sicher nicht noch mal.“
„Stimmt, brauchen wir dann auch nicht mehr hin.“
Kurz darauf setzte ich den Jedl zu Hause ab und begab mich Richtung Bett. Und rechnete fest damit irgendwann in der Nacht einen Anruf zu erhalten.
„Müller! Rate wo ich bin! In Kuba!“ Im Hintergrund vibrierten die Salsa-Rhythmen und feurige Latinas durchtanzten die Nacht. Doch da Jedl und ich wohl nur verkrampfte, spießige Deutsche sind, blieben wir in Marl. Ist doch auch ganz schön hier…Und zumindest stimmen manche Klischees doch ein wenig, wissen wir jetzt. :-)